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Alles Bio oder Was?

Ein Beitrag von Prof. Dr. Wolfgang Nellen, Ordentlicher Professor und Leiter der Abteilung Genetik an der Universität Kassel

Eine Vielzahl von Studiengängen spiegelt den Boom der Biowissenschaften wider. Studierende können aus einer schier unüberschaubaren Menge an Studiengängen wählen. Sowohl für Arbeitgeber als auch für Studierende ist es schwer geworden, den Überblick zu behalten. Daher ist gerade der Übergang zwischen Studium und Beruf schwierig und verlangt deshalb gute Vorbereitung und richtige Entscheidungen.

In Deutschland sind zurzeit fast 50.000 Studierende in biowissenschaftlichen Bachelor und Master-Studiengängen eingeschrieben. Jedes Jahr kommen über 15.000 Studienanfänger hinzu. Die Absolventenquote liegt bei ca.73%. D.h. pro Jahr drängen ca. 11.000 Biowissenschaftler und Biologielehrer auf den Arbeitsmarkt. Jeder zweite Student der Naturwissenschaften belegt eine biowissenschaftliche Vertiefung in seinem Studienfach. Was macht die Faszination der Biowissenschaften aus, die nicht nur die Studierenden, sondern auch etliche benachbarte Disziplinen erfasst hat? Haben alle, die von der Biologie fasziniert sind, die Chance, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden?

Der www.studienfuehrer-bio.de erfasst mehr als 400 grundständige biowissenschaftliche Studiengänge und beim www.master-bio.de sind es sogar über 600 konsekutive und weiterführende Studiengänge für Biowissenschaftler. Somit ist jedem Studierenden rein rechnerisch ein Master-Studienplatz sicher. Natürlich gibt es überlaufene Fächer, vor allem an den Schnittstellen zu den attraktiven Nachbardisziplinen, die sich in einer Vielzahl von Studiengängen mit der beliebten Vorsilbe »Bio« widerspiegelt. Insbesondere die Biotechnologie und die Biomedizin, der Einsatz naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in der Medizin, haben sich zu wirtschaftlichen Eckpfeilern entwickelt.

Somit kommen folgende Fragen auf: Welcher biowissenschaftliche Studiengang ist der richtige für mich? Soll ich erst mal breite Grundlagen in einem Biologiestudium erwerben, oder gleich in ein Spezialstudium? Muss ich mich bereits zu Beginn des Studiums fachlich festlegen, oder doch erst im Master?

Grundsätzlich muss beachtet werden, dass die modernen Biowissenschaften ohne fundierte Grundkenntnisse in den benachbarten Disziplinen undenkbar wären. Daher plädiert der biowissenschaftliche Dachverband VBIO für breit angelegte Bachelorstudiengänge, die dann in spezialisierten Masterstudiengängen münden. Drei von vier Studierenden in den Biowissenschaften setzen inzwischen sogar eine Promotion drauf, um in einem Spezialgebiet ihre Fähigkeit zum selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten unter Beweis zu stellen. Genauso wichtig ist aber auch die Fähigkeit zur Teamarbeit und die kann man in den zahlreichen Praktika üben und beispielsweise in einem Industriepraktikum unter Beweis stellen.

Während die Zahl der Beschäftigten Physiker und Chemiker seit vielen Jahren konstant geblieben ist, verzeichnen die Biowissenschaften seit etwa 10 Jahren einen deutlichen Anstieg im Arbeitsmarkt. Die Industrie beginnt inzwischen auch langsam, die neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master zu akzeptieren. Insbesondere Bachelorabsolventen aus Fachhochschulen sind bei Firmen beliebt, da sie den bereits bekannten FH-Abschlüssen ähneln. Für Universitätsabsolventen gibt es unterhalb der Promotion dagegen bisher kaum Karrierechancen - abgesehen von Bereichen wie der Qualitätskontrolle oder dem Vertrieb, wo keine Promotion verlangt wird. Aber Biowissenschaftler werden von der Industrie wegen ihrer Vielseitigkeit, Interdisziplinarität und flexiblen Einsatzfähigkeit geschätzt.

»Insbesondere Bachelorabsolventen aus Fachhochschulen sind bei Firmen beliebt, da sie den bereits bekannten FH-Abschlüssen ähneln.«

Somit sind die Chancen in der Wirtschaft größer als im Öffentlichen Dienst, wo feste Stellen insbesondere für den wissenschaftlichen Nachwuchs an Hochschulen dünn gesät sind. Die augenblicklichen Regelungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zwingen jeden Absolventen dazu, nach spätestens sechs Jahren entweder doch eine der wenigen Dauerstellen ergattern zu können oder so rasch wie möglich den Absprung aus dem universitären Umfeld zu schaffen. Dies ist auch deswegen wichtig, da die Wirtschaft Tätigkeiten an Universitäten meist nicht als Berufserfahrung anerkennt.

Ein grundsätzliches Problem des Biologiestudiums ist eine vielfach falsche Vorstellung von den Studieninhalten. Studienanfängern ist oft nicht bewusst, dass Biologie das vielseitigste naturwissenschaftliche Fach ist und breite Kenntnisse in Physik, Mathematik und Chemie erfordert, in den letzten Jahren ist noch die Informatik hinzugekommen, die jeder Biologe mehr oder weniger braucht. Das Studium wird oft unterschätzt und das erklärt die relativ hohe Zahl an Studienabbrechern von 27 Prozent. Erfolgreiche Absolventen stehen zwar in einer harten Konkurrenz und tun sich schwerer als anderen Disziplinen, im Allgemeinen sind die Berufsaussichten jedoch nicht schlecht, wenn man sich Zeit nimmt und gezielt vorgeht. Nach spätestens einem Jahr sind mehr als 90% aller Absolventen in Lohn und Brot.

Eine wertvolle Hilfe sind die von manchen Universitäten angebotenen Berufsfeldseminare, die Informationen über die große Breite der beruflichen Möglichkeiten und direkte Kontakte zu Biologen im Beruf bieten. An einer Reihe von Universitäten werden solche Seminare von studentischen Gruppen (z.B. den VBIO-Start-Gruppen) selbst organisiert.

»Eine wertvolle Hilfe sind die von manchen Universitäten angebotenen Berufsfeldseminare.«

Ein wichtiges Werkzeug neben dem Aufbau persönlicher Kontakte zu potentiellen Arbeitgebern ist die konsequente Nutzung von (online-basierten) Jobbörsen. Insbesondere fachspezifische Portale können einen sehr guten Überblick über die aktuellen Jobangebote geben, aber auch wertvolle Zusatzinformationen zum aktuellen Stellenmarkt geben.

Eine Besonderheit der Biowissenschaften ist es, dass sich die Nachfrage nicht wie bei den Ingenieuren oder anderen Naturwissenschaften aus dem Ersatzbedarf für Pensionäre speist. Biologen füllen weniger frei gewordene Positionen auf, sondern in diesem hochdynamischen Wissenschaftsfeld entstehen immer wieder echte neue Arbeitsplätze. Diese werden allerdings gerne an Bewerber vergeben, die bereits Industrieerfahrung nachweisen können. Dadurch ist es gerade für Absolventen, die zum ersten Mal den Sprung aus dem aus dem Universitätsbetrieb wagen, etwas schwieriger, in der Wirtschaft Fuß zu fassen.

Oft gibt es aber sehr kurzfristig Bedarf an exzellent ausgebildeten Spezialisten, so dass es sich lohnt gerade in den letzten Jahren der Ausbildung darauf zu achten, welcher konkrete Bedarf sich bei den Firmen abzeichnet. Man sollte aber vermeiden einem Trend hinterher zu hecheln. Wenn ein Thema in der Tagespresse ausgewalzt wird, kann der Trend bereits vorüber sein.

Vielleicht mehr als in anderen Fächern ist die persönliche Motivation ausschlaggebend. Die Wahl einer Spezialisierung sollte nicht von der gegenwärtigen Marktsituation dominiert werden, sondern den eigenen Interessen und Kompetenzen entsprechen. Flexibilität und Kompromissbereitschaft gehören aber ebenfalls zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren. Wichtig ist es die eigenen Stärken und Schwächen genau analysieren zu können und sich vorzustellen, wo und wie man in 5 bis 10 Jahren gerne arbeiten möchte. Denn gute Leute finden gute Arbeitsplätze, auch wenn es gerade am Anfang ein wenig zäh sein kann oder der Weg nicht geradlinig zur optimalen Karriere verläuft.

»Die Wahl einer Spezialisierung sollte nicht von der gegenwärtigen Marktsituation dominiert werden, sondern den eigenen Interessen und Kompetenzen entsprechen.«

Daher lohnt es sich nicht einem Schweinezyklus hinterherzulaufen. Hier zeigt sich ein grundlegendes biologisches System, in dem ökologische Nischen sich schnell auftun, eine kurze aber heftige Entwicklung ermöglichen und wo sich das Fenster aber auch wieder schnell schließen kann. Aktuelles Beispiel ist die Ökotoxikologie, die durch die notwendige Umsetzung der EU-REACH-Richtlinie aktuell einen enormen Bedarf bei der Industrie ausgelöst hat. In der Folge sind nun vor allem an der Rhein-Schiene eine ganze Reihe an spezialisierten Masterstudiengängen eingerichtet worden.

Anfang des Jahrtausends gab es einen exorbitanten Bedarf an Bioinformatikern, der dann recht schnell auf ein gesundes Maß schrumpfte, aber bereits ein Überangebot an Studiengängen hervorgebracht hat. Ein anderes Beispiel ist die Forensik, hier stehen zurzeit einem Ausbildungspotential von mehr als 100 Studierenden im Jahr nur 2-3 offene Stellen gegenüber.

Nicht einfach ist es für angehende Biologielehrer, da nicht nur 16 Bundesländer sehr unterschiedlich Bildungspolitik betreiben, sondern auch kaum über einen längeren Zeitraum den Bedarf an Lehrkräften prognostizieren können. Dennoch schwenken etliche Studierende, oft erfolgreich, während des Bachelor- oder Master- Studiums auf eine Lehramtsausbildung um. Auch hier ist es jedoch maßgeblich, dass eine entsprechende Motivation und die Fähigkeit zur Lehre vorliegen. Daher gibt es auch etliche Lehramtsstudierende, die rechtzeitig in die Forschung wechseln. Dies setzt aber voraus, dass das zweite Studienfach idealerweise eine zweite Naturwissenschaft ist, um die notwendige fachliche Tiefe zu erlangen.

Der VBIO hat als Anregung für eigene Überlegungen beispielhaft über siebzig Lebensläufe in einer sehr erfolgreichen Berufsfeld-Broschüre »Perspektiven - Berufsbilder von und für Biologen, Biowissenschaftler und andere Naturwissenschaftler«, ISBN 3-9806803-0-4 zusammengestellt. Diese typischen aber durchaus sehr individuellen Lebensläufe spiegeln nicht nur die Breite der Möglichkeiten wider, sondern sollen dazu anregen, seinen eigenen Weg zu gehen aber sich bewusst dabei zu sein, dass dies nur in einem guten Netzwerk funktionieren kann. Gerade Biowissenschaftler sind in der Lage, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen und werden gerne eingestellt, weil sie es gewohnt sind interdisziplinär zu denken und zu arbeiten.

Dass es dennoch eine ganze Reihe an arbeitssuchenden Biologen gibt, liegt unter anderem daran, dass in der Vergangenheit bei einem Frauenanteil von 70% die Familienplanung die Karriereplanung überlagert hat. Inzwischen hat sich bei den Arbeitgebern herumgesprochen, wie wichtig es ist gute Mitarbeiterinnen zu halten und auch die Väter kümmern sich immer mehr in Elternzeit um den Nachwuchs. Dadurch können zu große Lücken im Lebenslauf vermieden werden.

Ein anderes Beschäftigungsproblem ist der Tatsache geschuldet, dass beileibe nicht alle gesellschaftlich relevanten Bereiche - gerade in der Ökosystemforschung und im Umweltschutz - immer mit den entsprechend notwendigen Stellen versehen sind. Gerade hier wirkt sich das ehrenamtliche Engagement negativ auf die Beschäftigungslage aus, da mit den »Dumpingpreisen« einer ehrenamtlichen NGO oder gar eines staatlich alimentierten Lehrstuhls kein freiberuflicher Biologe mithalten kann. Aber auch hier bewegt sich Einiges und mit entsprechendem Knowhow, guten Verbindungen und großem Engagement gibt es eine Zukunft für professionelle, freiberufliche Biologen. Der Arbeitsmarkt für Biowissenschaftler ist vielfältig und bietet relativ gute Chancen. Der VBIO bemüht sich, Studierende und Berufsanfänger bei ihren Entscheidungen zu unterstützen, den Erfahrungsaustausch zu fördern und zu helfen und wichtige Netzwerke aufzubauen. Darüber hinaus arbeitet der Verband ständig daran, die Berufsfelder für Biologen zu verbessern, z.B. bei den Befristungsregeln im universitären Bereich. Mit seinen über 6.500 Einzelmitgliedern und knapp 30 Fachgesellschaften stellt der VBIO an sich das größte Netzwerk der Biowissenschaften in Deutschland dar. Die Mitarbeit in diesem Netzwerk dient nicht nur der Community als Ganzes, sondern auch den eigenen Interessen. Weiterführende Informationen können Sie der Homepage www.vbio.de entnehmen oder direkt beim Ressortleiter Ausbildung& Karriere des VBIO, Herrn Dr. Carsten Roller erfragen.

› Bildquelle: Dr. Kerstin Elbing, VBIO - Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland
Biologie - Prof. Dr. Wolfgang Nellen

Kurzvita

Prof. Dr. Wolfgang Nellen
Ordentlicher Professor und Leiter der Abteilung Genetik an der Universität Kassel Präsident des Verbandes Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland - VBIO e.V. seit 2011

› 2003 - 2004 geschäftsführender Direktor des Instituts für Biologie der Universität Kassel
› 2001 - 2002 Dekan der Fakultät für Biologie der Universität Kassel
› seit 1995 Ordentlicher Professor (C4) Abteilung Genetik an der Universität Kassel Arbeiten zu Chromatinmodifikation, DNA Methylierung, RNA Interferenz und miRNAs
› 1989 Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Abteilung Zoologie
› 1986 Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried, Departement für Zellbiologie. Arbeit an Signaltransduktion und Antisense-Regulation in Dictyostelium
› 1982 Post-doc bei Prof. R.A. Firtel, an der University of California, San Diego.
› 1979 Post-doc bei Prof. D. Gallwitz, Institut für Physiologische Chemie I an der Philipps-Universität Marburg
› 1980 Promotion zum Dr. rer. nat. an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zum Thema Spermatogenese bei Drosophila hydei
› 1975 Biologie Diplom an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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