Was macht ein Wirtschaftsinformatiker oder eine Wirtschaftsinformatikerin?
Ein Beitrag von Prof. Dr. Petra Schmidt, Fachgruppe Informatik, Hochschule Mittweida
Wirtschaftsinformatik ist ein Studienfach, dessen Tradition bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts gelegt wurde. Die Gründerväter dieses Studienganges waren insbesondere Prof. Dr. Erwin Grochla (Organisationslehre), Prof. Dr. Paul Schmitz (angewandte Informatik) aus Köln - beide übrigens auch Gründungsmitglieder der Gesellschaft für Informatik (GI) -, Mertens in Deutschland und Hansen in Österreich.
Die Kollegen erkannten bereits in den 60er Jahren die strategische Bedeutung der Informatik für die Führung von Unternehmen. Somit war bereits von Anfang an klar, dass es sich um einen interdisziplinären bzw. transdisziplinären Studiengang handelt, damals aus zwei sich gegenseitig beeinflussenden Disziplinen. So entwickelte sich auch hinsichtlich der Wirtschaftsinformatikausbildung ein Drei-Säulen-Modell bestehend aus Betriebswirtschaftslehre, Informationstechnik und Wirtschaftsinformatik. Im Laufe der nun über 50 Jahre sind weitere Disziplinen relevant geworden, die einen Einfluss auf die Wirtschaftsinformatik haben, dazu gehören insbesondere die Rechtswissenschaft und die Gesellschaftswissenschaften, denn die Grenzen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft verschwimmen zusehends (Beispiel soziale Netzwerke) und dadurch ergeben sich auch neue juristische Fragestellungen, die auch die Gesellschaftsform beeinflussen. Man denke nur an die aktuellen Diskussionen über Datenschutz und Datensicherheit.
Damit ist kurz umrissen, dass es sich um ein Studienfach mit vielen Facetten handelt, das die Studierenden (und auch die Lehrenden) vor gewisse Herausforderungen stellt, deren wichtigste der ständige Perspektivwechsel ist. So ist die klassische Betriebswirtin eher eine Generalistin, die in kürzester Zeit auf Basis unvollständiger Informationen wichtige Entscheidungen treffen muss und somit im Studium lernt, viele nicht immer zusammengehörige Fakten zielgerecht zu strukturieren und klassieren. Die Informatikerin hingegen muss sehr detailliert und vollständig arbeiten, schließlich muss die Software ja am Ende funktionieren und nutzergerecht sein. Dies schließt selbstredend eine Affinität zur Mathematik, insbesondere dem logischen Denken ein. Wer sich mit Fragen der Datensicherheit und des Datenschutzes intensiver befassen möchte, sollte sich vertiefte Kenntnisse in Computermathematik wie z.B. Kryptologie erarbeiten können.
»Da die Wirtschaftsinformatik das Bindeglied zwischen Anwendung und Technik ist, versteht sich von selbst, dass die Wirtschaftsinformatikerin ein hohes Maß an Kommunikationsfähigkeiten besitzen muss.«
Durch den immer stärkeren Einfluss von gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen sind aber auch eine solide Rechtskenntnis und eine juristisch-logische Denkweise erforderlich. Das erfordert eine geistige Flexibilität und ein grundsätzliches Interesse an interdisziplinärem Arbeiten. Da die Wirtschaftsinformatik das Bindeglied zwischen Anwendung und Technik ist, versteht sich von selbst, dass die Wirtschaftsinformatikerin ein hohes Maß an Kommunikationsfähigkeiten besitzen muss. Das schließt eine solide über die englische Sprache hinausgehende Fremdsprachenkenntnis ein, schließlich haben wir heute einen weltweiten Verbrauchermarkt, der Kunde ist bekanntlich König.
Nun möchte ich die geneigte Leserin nicht gleich verschrecken ob der geforderten Studienvoraussetzungen. Da die Wirtschaftsinformatik je nach Institution mal von der Betriebswirtschaftslehre und mal von der Informatik aus entwickelt wurde, hat jede Hochschule/ Universität so ihre Schwerpunkte. Als grobe Leitlinie lässt sich sagen, dass der Schwerpunkt bei den Fachhochschulen meist eher von der Informatik beeinflusst wird (daher steht auch die Affinität zur Mathematik und Informatik im Vordergrund), der Blickwinkel bei den Universitäten meist von der Betriebswirtschaft aus gelegt wird (und damit die der Programmierung vor- und nachgelagerten Aufgaben eine größere Rolle spielen). Dies sollte bei der Studienplatzwahl berücksichtigt werden. So werden Studierende in den der betriebswirtschaftlichen Fakultäten zugeordneten Studiengänge meist eher in der (Strategie-) Beratung, Unternehmensführung und interne Organisation tätig sein, während Studierende in den der Informatikfakultät zugeordneten Studiengänge eher in der Entwicklung von Informatikanwendungen und in der eher anwendungsnahen Beratung ihr Tätigkeitsfeld finden.
»Abhängig von den entwickelten Fähigkeiten und Interessen wird die eher der Betriebswirtschaft zugeneigte Bachelorabsolventin eher in anwendungsnäheren Bereichen tätig sein, die lieber programmierende Studentin später wohl eher in der Softwareentwicklung.«
Auch dies ist nur ein Erfahrungswert. In jedem Fall bietet sich für Studienbewerber, deren Neigung noch nicht eindeutig der Betriebswirtschaft oder der Informatik zuzuordnen ist, die hervorragende Möglichkeit während der ersten Studienjahre bis hin zum Bachelor auszutesten, wo die berufliche Reise hingehen soll. Abhängig von den entwickelten Fähigkeiten und Interessen wird die eher der Betriebswirtschaft zugeneigte Bachelorabsolventin eher in anwendungsnäheren Bereichen tätig sein, die lieber programmierende Studentin später wohl eher in der Softwareentwicklung. Die Entwicklung von Software ist ein komplexes Unterfangen, im Wesentlichen bestehend aus Anforderungsanalyse, Fach- und Systemkonzept, Entwicklung und Test bzw. Qualitätssicherung, Einführung und Schulung. Dies erfordert nicht nur ein professionelles Projektmanagement - ebenso ein wichtiges Gebiet der Wirtschaftsinformatik - sondern zeigt auch, dass professionelle Entwicklungen für die Wirtschaft zeitaufwendig sind und damit entsprechend kostenintensiv.
»Die Anforderungen an Absolventen sind sicher sehr hoch, dafür ist das Tätigkeitsfeld sehr vielfältig und nicht auf bestimmte Branchen beschränkt.«
Das bedeutet für ein Unternehmen, dass es zu entscheiden hat, ob Software selbst entwickelt, gekauft, geleast werden soll, ob Open Source Produkte genutzt werden können, oder Dienste / Anwendungen als Ganzes ausgelagert werden sollten. Ein Beispiel für eine häufig verwendete Auslagerung von betrieblichen Aufgaben ist die Buchhaltung bei Kleinunternehmen, die vom Steuerberater übernommen wird, der sich hierfür der DATEV bedient. Die Wirtschaftsinformatikerin hat - wenn sie beim »Anwendungs-«unternehmen arbeitet nun zu prüfen, welche der Alternativen für das Unternehmen am zweckmäßigsten ist und diese umzusetzen. Die Wirtschaftsinformatikerin beim Systemhaus steht sozusagen auf der »anderen« Seite und entwickelt im Systemhaus Standard- oder Spezialanwendungen für den Anwender. Daher muss sie ein ausgeprägtes Prozessdenken entwickeln - hier kommen der Bewerberin neben den betriebswirtschaftlichen Kenntnissen insbesondere praktische Erfahrungen in allen Bereichen der Wirtschaft zugute - und entsprechende analytische Fähigkeiten haben.
Die Anforderungen an Absolventen sind sicher sehr hoch, dafür ist das Tätigkeitsfeld sehr vielfältig und nicht auf bestimmte Branchen beschränkt. Da eine Bachelorausbildung mit meist 6, seltener 7 oder 8 Semestern nicht alle Facetten des zukünftigen Arbeitsgebietes abdecken kann, besteht diese im Wesentlichen aus Kernfächern der Betriebswirtschaftslehre wie Rechnungswesen, Controlling, allgemeine BWL, Organisationslehre, Marketing, sowie Grundlagen des BGB, HGB und weiteren wichtigen Rechtsgebieten, Grundlagen der Mathematik, Programmierung / Programmiersprachen, Datenbanken, Softwareentwicklung und Projektmanagement und je nach Angebot besonderen Vertiefungsrichtungen. Nach einer solchen Grundausbildung wird die Studentin in der Regel als Juniorentwicklerin, Juniorconsultant, im Support, Entwicklung von Webanwendungen, im Projektsupport und ähnlichem eingesetzt. Aufgaben, die fundierte Kenntnisse voraussetzen, erfordern zum einen ein Mindestmaß an Berufserfahrung aber meist auch einen Masterabschluss. Insbesondere Aufgaben im strategischen Bereich sind Masterstudenten meist aus dem universitären Umfeld vorbehalten. Neben dem Masterabschluss - der Königsweg für alle, die eine wissenschaftliche Karriere mit Promotion anstreben - gibt es noch weitere Möglichkeiten zur Weiterqualifikation. Da sind zum einen die vielen Zertifikate, die namhafte Softwarehersteller nach gründlicher Schulung und Praxiserprobung Mitarbeitern und Partner ausstellen, die sicherstellen, dass verantwortungsvoll und korrekt mit der Software umgegangen wird.
»Von zunehmender Relevanz sind Kenntnisse über die Mechanismen der Europäischen Union, da nahezu jeder Rechtsakt und jede Richtlinie der EU auch Auswirkungen auf die Prozesse im Unternehmen hat.«
Des Weiteren ist es oft erforderlich Kenntnisse und Nachweise in bestimmten Arbeitsbereichen zu erbringen, insbesondere, wenn man in verantwortungsvolle Positionen aufrücken will. So müssen beispielsweise Projektleiterinnen von Großprojekten meist ihre Fähigkeiten durch Zertifikate namhafter Fachorganisationen wie z.B. der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement haben. Als dritter Weg besteht immer die Möglichkeit selbst die Augen aufzuspannen und die Sinne zu schärfen für neuere Trends und deren mögliche Bezüge zur Wirtschaftsinformatik oder untypische Kombinationen zu wählen, die vielversprechend sind. Beispiele für ersteres sind Medienentwicklungen, die für innovative Produkte und deren Einsatz im Betrieb relevant sind oder die mit der zunehmenden Vernetzung verbundenen ungeklärten Rechtsverhältnisse. Ein Beispiel für letzteres ist die Kombination von Rechnungswesen / Bilanzierung in Verbindung mit guten Systemkenntnissen, denn Buchführung und -prüfung findet heutzutage ausschließlich im Rechner statt. Von zunehmender Relevanz sind Kenntnisse über die Mechanismen der europäischen Union, da nahezu jeder Rechtsakt und jede Richtlinie der EU auch Auswirkungen auf die Prozesse im Unternehmen hat.
Die
Bewerbungsphase ist insbesondere für einen Berufsanfänger heute schwieriger denn je, denn der Weg der Direktbewerbung führt meist über die Websites von Unternehmen. Das Ausfüllen von elektronischen Formularen führt zu einer automatisierten Weiterverarbeitung, die der Individualität der Bewerber nicht immer gerecht wird. Besser ist es daher frühzeitig Kontakte zu knüpfen über Pflicht- oder freiwillige Praktika oder engagierte Mitgliedschaft in Berufsverbänden, deren Mitgliedsbeiträge für Studenten meist sehr moderat sind. Eine weitere gute Möglichkeit ist der Besuch von Messen, der jedoch ein wenig vorbereitet sein muss. Die Bewerberin muss sich über ihre Interessenlage und Karriereplanung inkl. Rahmenbedingungen gut im Klaren sein, denn auch ein lockeres Gespräch am Messestand ist ein erster Einstellungstest. Fundiertes Fachwissen und Wissen über den Gesprächspartner ist in diesem Zusammenhang von Vorteil. Wer sich für die akademische Laufbahn entscheidet sollte sich frühzeitig fit für die Teilnahme an wissenschaftlichen Tagungen machen. Abschließend sei noch auf das Thema Auslandserfahrung hingewiesen. War es noch vor 30 Jahren etwas Besonderes im Ausland studiert oder gearbeitet zu haben, so setzen nicht nur namhafte, attraktive Arbeitgeber einen Auslandsaufenthalt heute voraus. Um es deutlich zu sagen, nicht im Ausland gewesen zu sein ist ein strategischer Bewerbungsnachteil. Dies ist der zunehmenden chule Mitarbeiterin und Internationalisierung der Arbeitswelt geschuldet. Einer Wirtschaftsinformatikerin dürfte dies jedoch entgegenkommen, denn durch den anfangs erwähnten ständigen Perspektivwechsel ist sie gut auf ein Auslandsjahr vorbereitet.
› Aus Vereinfachungsgründen wird hier und im weiteren Verlauf des Artikels die weibliche Form verwendet. Sie schließt selbstverständlich auch den (männlichen) Leser ein.
An dieser Stelle möchte ich noch auf weitere Literatur zur Wirtschaftsinformatik verweisen:
› Was ist Wirtschaftsinformatik? -> www. akwi.de
› umfassende Informationen zur Informatik und Wirtschaftsinformatik -> www.gi.de (Gesellschaft für Informatik),
› www.enzyklopaedie-der-wirtschaftsinformatik. de,
› wi.vhbonline.org/index.php?id=104 (Wissenschaftliche Kommission der Wirtschaftsinformatik)
Studienführer sind über die GI, den AKWI, verschiedene Hochschulen, die Kultusministerkonferenz und das Arbeitsamt zu erreichen.
Kurzvita
Prof. Dr. Petra Schmidt, seit 1995 Professorin für Wirtschaftsinformatik insbesondere Informations- und Projektmanagement an der Hochschule Mittweida, Sachsen. Werdegang: Abitur, Banklehre, Studium der Informatik mit Abschluss Diplom an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, danach Promotion an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln am Lehrstuhl Prof. Dr. Paul Schmitz. Während dieser Zeit Consulting im Bereich Organisation und Informationsmanagement insbesondere für Banken, Versicherungen und öffentliche Verwaltung. Bis zum Wechsel in die Hochschule Mitarbeiterin und Security Officer in einer internationalen Bank sowie zwei Jahre Lehre an einer Universität in Istanbul, Mitglied u.a. im Arbeitskreis Wirtschaftsinformatik an Fachhochschulen (www.akwi.de).