Wirtschaftsinformatik
Ein Beitrag von Dr. techn. Norman Weiss, Fachbereich Mathematik, Naturwissenschaften, Wirtschaft und Informatik, Stiftung Universität Hildesheim
Was ist »Wirtschaftsinformatik« eigentlich? Praktisch jedes Unternehmen ist heute darauf angewiesen, extrem große Mengen an Informationen und Daten sinnvoll zu verarbeiten und gewinnbringend zu nutzen - egal, ob Buchhändler, Logistikunternehmen, Telekommunikationsdienstleister, Autohersteller oder Supermarkt. Aus bestehenden Kundendaten Informationen über Kaufinteressen gewinnen, Telefonanschlüsse verwalten, den Lagerbestand stets aktuell einsehen, Logistikprozesse im Griff haben und vieles mehr - mit diesen Herausforderungen beschäftigt sich die »Wirtschaftsinformatik«.
Ganz formal gesagt: Wirtschaftsinformatikerinnen und Wirtschaftsinformatiker befassen sich mit der Konzeption, Entwicklung, Einführung und dem Betrieb von Systemen zur computergestützten Informationsverarbeitung in Unternehmen. Und »unformal« gesagt: Wirtschaftsinformatikerinnen und Wirtschaftsinformatiker beschäftigen sich mit der Software, die die meisten von uns nie sehen, weil sie nur von Unternehmen eingesetzt wird.
Und sie beschäftigen sich natürlich auch mit den Unternehmensabläufen, die hinter der Software stehen und mit den MitarbeiterInnen, die diese einsetzen bzw. nutzen.
»Wirtschaftsinformatikerinnen beschäftigen sich mit der Software, die die Meisten von uns nie sehen, weil sie nur von Unternehmen eingesetzt wird.«
Was heißt das praktisch?
Nehmen Sie als Beispiel das Unternehmen, dass der US-Amerikaner Jeffrey »Jeff« Bezos im Sommer des Jahres 1995 gegründet hat. Er gründete es in einem Markt, der bereits seit Jahrhunderten besteht: dem Buchhandel. Jedes neue Unternehmen hat es in einem schon lange gefestigten Markt besonders schwer. Trotzdem ist das Unternehmen von Jeff Bezos schon keine 15 Jahre später nicht nur der größte Buchhändler der Welt, sondern auch der größte Online-Händler überhaupt. Da stellt sich die Frage: Warum? Warum kann ein Unternehmen jahrhundertelang eingesessene Buchhandelsunternehmen und jahrzehntelang eingesessene Versandhändler in nur 15 Jahren weltweit »überholen«?
Weil Jeff Bezos die Bücher nicht mehr einzeln in Filialen verkaufte, sondern aus seiner Garage heraus - er hatte eins der wenigen wirklichen »Garagen-Unternehmen« des Informationstechnologiezeitalters gegründet. Aus seiner Garage versandte er die Bücher überall hin - über das damals noch neue Medium »Internet«, dessen Potential fast alle »eingesessenen« Buchhändler und selbst die Versandhändler erst Jahre später erkannten. Und, weil er schon früh auf die Fähigkeit von Computern setzte, aus vorhandenen Informationen noch mehr - und noch nützlichere - Informationen zu generieren: Bezos nutzte sogenannte »Recommender Systems« - z.B. das »berühmte« »Kunden, die Buch X kauften, kauften auch Buch Y.« Bezos´ Unternehmen, dessen Namen ich jetzt gar nicht nennen muss, optimierte seine Werbestrategien, seine Logistikabläufe und schrieb sich auf die Fahnen, das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt aufzubauen. So dauern die Antworten auf die meisten Supportanfragen per Email an das Unternehmen nur wenige Minuten und es wird daran gearbeitet, Bestellungen noch am Tag der Bestellung ausliefern zu können. Das alles machen IT-Systeme möglich und diese System müssen von ExpertInnen geplant und eingerichtet werden - diese ExpertInnen sind WirtschaftsinformatikerInnen.
Was lernt man in einem Wirtschaftsinformatik-Studium?
Das Ziel eines Wirtschaftsinformatik- Studiums ist es, auf diese Tätigkeiten vorzubereiten. Im Laufe des Studiums erwirbt man dabei fundierte Kenntnisse sowohl im Bereich der Wirtschaftswissenschaften als auch in der Informatik.
Im Bachelor-Studium lernt man dabei in der Informatik vor allem Programmierung (oft die Programmiersprache JAVA), Algorithmen, Datenbanken und Software Engineering (Softwareentwurf). In der Betriebswirtschaft geht es um die Grundlagen der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre wie z.B. Rechnungswesen - also wie ein Unternehmen seine Bilanz erstellt und seine Kosten für bestimmte Leistungen und Produkte »im Griff« hat. Darüber hinaus geht es z.B. um die Bereiche Marketing, Produktion und Logistik.
› Stiftung Universität Hildesheim Foto: Chris Gossmann
In der Wirtschaftsinformatik an sich (manchmal auch »Wirtschaftsinformatik im engeren Sinne« genannt, um den jeweiligen Studiengang vom Lehrgebiet unterscheiden zu können) geht es vor allem um die Architektur und Konzeption von Informationssystemen in Unternehmen. Anwendungen wie z. B. E-Commerce (elektronischer Handel), Business Intelligence (Sammeln und Analyse von Unternehmensdaten), Daten- und Geschäftsprozessmanagement sowie die schon erwähnten Recommender Systems spielen dabei eine besonders wichtige Rolle.
»Im Laufe des Studiums erwirbt man fundierte Kenntnisse im Bereich der Wirtschaftswissenschaften und in der Informatik.«
Im Master-Bereich werden die Kenntnisse in diesen Bereichen vertieft. Das Augenmerk ist dabei, die Studierenden an den aktuellen Stand der Forschung heranzuführen und damit ihre eigenständige Problemlösungskompetenz zu stärken.
› Stiftung Universität Hildesheim Foto: Andreas Hartmann
Insgesamt haben AbsolventInnen nach ihrem Studium umfangreiches Wissen über betriebswirtschaftliche Prozesse und Abläufe in Unternehmen und deren Abbildung in und Unterstützung durch geeignete spezialisierte Software gewonnen.
Das Wirtschaftsinformatik-Studium sieht deutschlandweit übrigens recht ähnlich aus, so dass die gelernten Inhalte sich bei verschiedenen Hochschulen ähneln.
»Der Fokus bei IMIT liegt auf Informationsflüssen und (auch software-gestützter) Kommunikation.«
Das sichert die Vergleichbarkeit des Wirtschaftsinformatik-Abschlusses in Deutschland und seine Akzeptanz in Unternehmen. An der Stiftung Universität Hildesheim gibt es zum Beispiel auch den mit dem Wirtschaftsinformatik- Studiengang »verwandten« Bachelor- und Master-Studiengang »Informationsmanagement und Informationstechnologie (IMIT)«. Dieser Studiengang unterscheidet sich von Wirtschaftsinformatik dadurch, dass das Lehrgebiet »Wirtschaftsinformatik im engeren Sinne« durch »Informationsmanagement« ersetzt ist - der Fokus liegt also etwas weniger auf softwaregestützten Verfahrensabläufen und mehr auf Informationsflüssen und (auch softwaregestützter) Kommunikation in Unternehmen. Gleichzeitig bietet der Studiengang eine wesentlich höhere Wahlfreiheit - über 20% des Bachelor-Studiums z.B. sind recht frei gestaltbar. Diese Wahlfreiheit kann es geben, da der Studiengang »IMIT« deutschlandweit einmalig ist, was Vor- und Nachteil zugleich ist: einer wesentlich größeren Wahlfreiheit steht ein geringerer Bekanntheits- und Standardisierungsgrad als bei Wirtschaftsinformatik gegenüber.
Was für Möglichkeiten hat man nach dem Studium?
Nach einem Bachelor-Studium gibt es neben dem direkten Berufseinstieg natürlich immer die Möglichkeit eines direkt aufbauenden Master-Studiums
(»konsekutives Studium«). Auch der Wechsel der Hochschule ist an dieser Stelle in der Regel kein Problem, da der Wirtschaftsinformatik-Bachelor in Deutschland hochschulübergreifend ja ähnlich aussieht. Auch der Wechsel in verwandte Studiengänge ist meist problemlos - so z.B. in den schon erwähnten Master-Studiengang »Informationsmanagement und Informationstechnologie« an der Stiftung Universität Hildesheim.
»Der Wechsel der Hochschule ist in der Regel kein Problem.«
Der Wechsel in allgemeinere Master-Studiengänge wie Betriebswirtschaft oder Informatik ist je nach Hochschule meist etwas schwieriger und hängt dann manchmal doch sehr direkt davon ab, was genau im Bachelor-Studium absolviert wurde. Er ist in der Regel aber auch nicht empfehlenswert, selbst dann, wenn AbsolventInnen eigentlich gerne die konkrete inhaltliche Ausrichtung wechseln wollen - z.B. weil sie festgestellt haben, dass einer der Studienbereiche im Bachelor ihnen nicht »lag«.
»Für Führungspositionen in der Wirtschaft wird meist ein Masterabschluss vorausgesetzt.«
Hier ist es sinnvoller, einen spezialisierten Studiengang zu nehmen, der idealerweise mit viel Wahlfreiheit ausgestattet ist. Der Wirtschaftsinformatik-Masterstudiengang an der Stiftung Universität Hildesheim hat im Masterbereich z.B. relativ viel Wahlfreiheit, so dass Sie je nach Interesse eher »wirtschafts-lastig« oder »informatik-lastig« (oder auch ausgewogen) weiter studieren können. Für Führungspositionen in der Wirtschaft wird meist ein Masterabschluss vorausgesetzt.
Für eine wissenschaftliche Karriere, eine Promotion - für die Sie an der Stiftung Universität Hildesheim übrigens sehr gute Bedingungen vorfinden - oder den Einstieg in Forschung und Entwicklung in der Industrie ist er zwingend.
Was macht man konkret im Beruf als Wirtschaftsinformatikerin?
Sofern Sie sich entscheiden, nach dem Wirtschaftsinformatik-Studium in die Wirtschaft zu gehen, stehen Ihnen viele Wege offen. Aufgrund der Tatsache, dass Sie sich im Studium mit vielen verschiedenen Disziplinen beschäftigt haben, sehen die konkreten Berufsbilder sehr unterschiedlich aus.
Dazu kommt, dass WirtschaftsinformatikerInnen in vielen verschiedenen Branchen benötigt werden. Meist haben Sie dabei entweder beratende oder projektsteuernde Funktion, z. B. als Berater, als Projektmanager, als Projektcontroller, als Software- und Systemanalytiker, als Betreuer bei der Einführung von neuer Software oder ähnlichen Berufen. Die Spannweite reicht dabei z.B. von Vertriebscontrolling und Einkauf, also sehr »BWL-lastigen« Bereichen, bis hin zu Anwendungsdesign und Softwareentwicklung also sehr »informatiklastigen « Bereichen. Selbst programmieren werden Sie dabei nur in den seltensten Fällen.
Konkrete Berufe der AbsolventInnen der Stiftung Universität Hildesheim sind z.B.
› IT-Consulting in der Softwaresparte eines großen Verlags- und Medienunternehmens
› Projektmanagement und Softwareentwicklung bei einem Beratungsunternehmen in der Hochschulbranche
› Vertriebscontrolling bei einem Papierhersteller
› Anwendungsdesign bei einem Softwaredienstleister für die Finanzbranche
› Logistischer Änderungsdienst bei einem Omnibushersteller
› Strategischer Einkauf bei einem Omnibushersteller
› Junior Process Expert im Customer Relation Management eines Leuchtmittelherstellers
› Internationales Traineeprogramm bei einem Automobilkonzern
› Qualitätsmanagement in einem Großrechenzentrum der Medienbranche
› Projektmanagement im Dialogmanagement eines Versandhandelsunternehmen
Wie sehen die Job- und Karrierechancen mit einem Wirtschaftsinformatik-Abschluss aus?
Die Berufschancen im Gebiet der Wirtschaftsinformatik sind derzeit ausgezeichnet, MitarbeiterInnen mit entsprechender Qualifikation werden von der Wirtschaft intensiv gesucht. Die Zahl offener Stellen übersteigt die Zahl der passenden BewerberInnen teils um ein Mehrfaches. So gelingt sowohl mit einem Bachelor-Abschluss als auch einem Master-Abschluss der Berufseinstieg schnell.
97% der AbsolventInnen der IT-Studiengänge an der Stiftung Universität Hildesheim finden laut unserer Alumni-Umfragen innerhalb kurzer Zeit (maximal sechs Monate nach Abschluss) eine Stelle, 85% der AbsolventInnen schon unmittelbar nach dem Abschluss.
Studierende, die direkt nach dem Bachelor-Abschluss in den Beruf eingestiegen sind, kehren in den letzten Jahren auch oft nach einiger Zeit an eine Hochschule zurück, um noch einen Masterabschluss zu machen - entweder in Vollzeit im zum Vorstudium passenden »konsekutiven« Master oder oft auch berufsbegleitend entweder einen Wirtschaftsinformatik-Master oder einen »M.B.A.« (Master of Business Administration).
»So gelingt sowohl mit einem Bachelor-Abschluss als auch einem Master-Abschluss der Berufseinstieg schnell.«
Gibt es sonst noch etwas für den Berufseinstieg zu beachten?
An vielen Hochschulen sind gerade in diesem Bereich Praktika bereits in den Studiengang integriert - entweder innerhalb der Hochschule oder in der Wirtschaft. An der Stiftung Universität Hildesheim gibt es zum Beispiel nach dem 4. Bachelorsemester ein 10-wöchiges Wirtschaftspraktikum, dass in einem unserer rund 40 Partnerunternehmen absolviert wird.
Zusätzliche praktische Erfahrungen in der Wirtschaft bringen Sie natürlich auch in diesem Bereich voran, sind aber im Vergleich zu vielen anderen Studienbereichen nicht so entscheidend beim Berufseinstieg. Sie beeinflussen natürlich die konkrete Position bei Berufseinstieg, ebenso wie Ihnen ein Masterabschluss einen deutlichen Vorteil bei der Erlangung besserer Positionen im Vergleich zu einem Bachelorabschluss verschafft. Ausnahme: Wenn Sie im Studium nur hochschulinterne Praktika absolviert haben, sind Praktika, Nebenjobs oder sonstige nachweisbare praktische Kenntnisse in der Wirtschaft beim guten Berufseinstieg hilfreich.
»Wählen Sie Vertiefungsgebiete passend zu Ihren Interessen und, wenn möglich, passend zu einem Berufseinstieg.«
Eher relevant sind Auslandsaufenthalte während des Studiums, denn viele Unternehmen - auch kleinere und mittlere -, die WirtschaftsinformatikerInnen beschäftigen, sind international ausgerichtet. Die sichere Beherrschung der englischen Sprache ist dabei durchgängig ein »Muss«, das aber schon im Studium benötigt wird. (An der Stiftung Universität Hildesheim gibt es daher im Bachelor- und Masterbereich Soft-Skills-Module »Wirtschaftsenglisch«.) Eine weitere Sprache, die Sie z. B. während eines ERASMUS-Auslandsaufenthaltes gelernt haben, ist stets hilfreich. Auch sonstige »Soft Skills« während des Studiums sind beim Berufseinstieg gerne gesehen. Ein zweites Augenmerk sollte - gerade in der Masterphase - der konkreten Ausrichtung des Studiums gelten.
»Immerhin 16% der Absolventinnen der IT-Studiengänge der Stiftung Universität Hildesheim sind haupt- oder nebenberuflich selbständig.«
Wählen Sie Vertiefungsgebiete passend zu Ihren Interessen und, wenn möglich, passend zu einem Berufseinstieg. Wenn Sie während des Studiums schon erkennen, dass Sie z. B. im Bereich Logistik arbeiten wollen, versuchen Sie möglichst viele Veranstaltungen in diesem Bereich zu belegen - gleiches gilt natürlich auch für alle anderen Studienbereiche und Interessen. Last but not least: Auch das Gründen eines eigenen Unternehmens ist immer eine Möglichkeit nach oder auch während des Studiums.
Immerhin 16% der AbsolventInnen der IT-Studiengänge der Stiftung Universität Hildesheim sind haupt- oder nebenberuflich selbständig. Dazu sollten Sie natürlich schon im Studium sowohl »Soft Skills« (Unternehmensplanspiel, Gründer-Coaching) als auch »Hard Skills« erworben haben. An der Stiftung Universität Hildesheim ist »Recommender Systems« z. B. einer (von mehreren) Forschungsschwerpunkten, der für die Industrie weiterhin extrem interessant ist - falls Sie der nächste Jeff Bezos werden wollen ...
Kurzvita
Dr. techn. Norman Weiss ist Geschäftsführer am Fachbereich 4 (Mathematik, Naturwissenschaften, Wirtschaft und Informatik) der Stiftung Universität Hildesheim. Er lehrt zugleich im Gebiet »Robotik« in den Bachelor- und Master-Studiengängen »Wirtschaftsinformatik« und »Informationsmanagement und Informationstechnologie«.