Auslandssemester in Helsinki (Finnland)
Zur Person
Name: Alexander Hornung
Heimatuniversität: Technische Universität Ilmenau
Gastuniversität: Helsinki University of Technology
Studiengang: Wirtschaftsingenieurwesen (Diplom)
Schwerpunkt: Wirtschaftsingenieurwesen (Diplom)
Semester: 11 (z.Z. des Auslandssemesters)
Aktueller Status: Diplomand
Motivation / Bewerbung
»Welcome to Hollywood! What’s your dream? Everybody comes here. This is Hollywood, the land of dreams. Some dreams come true, some don’t, but keep on dreamin’. This is Hollywood. Always time to dream, so keep on dreamin’.« (Pretty Woman – 1990)
Für die meisten Studenten ist ein Studienaufenthalt im Ausland etwas von dem sie vorher wahrscheinlich schon lange träumten und im Anschluss sicher viele Geschichten zu erzählen hatten. So war es zumindest bei mir. Über den europäischen Dachverband der Wirtschaftsingenieursstudenten – ESTIEM (European Students of Industrial Engineering and Management) hatte ich schon viele Bekannte in ganz Europa und eben auch in Finnland. Was mich letztlich dann nach Finnland, genauer gesagt nach Helsinki an die Helsinki University of Technology (HUT) verschlagen hat, war unter anderem die Tatsache, dass dort ein für mich sehr interessantes Studienprogramm – IBLP (International Business Linkage Program) angeboten wurde.
Vorbereitung
Um keine Studiengebühren zahlen zu müssen und etwas finanzielle Unterstützung zu bekommen, habe ich mich für das Erasmus-Programm beworben. Man sollte ca. ein Jahr im Voraus mit der Bewerbung beginnen. Am meisten weitergeholfen haben mir Gespräche mit Leuten, die schon über Erasmus im Ausland waren. Glücklicherweise kannte ich auch jemanden, der das Programm schon absolviert hatte und mir wertvolle Tipps geben konnte. Wer niemanden kennt, dem bleibt leider nur der mühsame Weg, sich durch unzählige Broschüren und Programme zu arbeiten. Finnland befindet sich sowohl in der EU als auch im Schengenraum, ein Visum war deshalb nicht nötig. Um für die drohenden kalten Temperaturen gewappnet zu sein, sollte man gute Kleidung mitnehmen. Von den Witterungsbedingungen her ist Finnland im Winter vergleichbar mit dem Alpenraum. Da ich ein Auto hatte, setzte ich mit der Fähre von Rostock nach Helsinki über. Neben Winterreifen, Türschlossenteiser und etwas Silikonspray für die Türdichtungen war diesbezüglich an Vorbereitung nichts weiter nötig. Lediglich um die Unterkunft habe ich mich im Voraus gekümmert.
Zu Beginn des Semesters gab es eine Einführungswoche speziell zugeschnitten auf die ausländischen Studierenden. Wir wurden in Gruppen eingeteilt und hatten Tutoren, die sich das ganze Jahr um uns gekümmert haben. Die Fakultät selbst organisierte zudem einen Einführungstag. Dort wurden wir über die Nutzung der Bibliothek, Computerräume usw. informiert.
Unterkunft
Der Campus der HUT liegt auf einer Halbinsel etwa 10 km westlich des Stadtzentrums von Helsinki. Auf dem Campus selbst stellt die Student Union Unterkünfte für etwa 1.200 Studierende. Zudem bietet die Organisation HOAS Studentenwohnungen an. Diese befinden sich sowohl auf dem Campus als auch im erweiterten Stadtgebiet von Helsinki. Von außerhalb kann die Busfahrt bis zur Universität bis zu einer Stunde dauern. Vom Campus ins Stadtzentrum führen zahlreiche Busverbindungen, die etwa 25 Minuten für die Fahrt benötigen. Glücklicherweise habe ich ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft auf dem Campus bekommen, so dass ich alle relevanten Gebäude innerhalb von 15 Minuten erreichen konnte.
Universität & Kurse
Die HUT oder auch TKK (Teknillinen korkeakoulu) hat 2008 mit der Helsinki School of Economics und der University of Art and Design Helsinki einen Fusionierungsprozess begonnen, um sich letztendlich zur Aalto University zusammenzuschließen. Als Student war man davon allerdings in keiner Weise beeinträchtigt.
Im Fachbereich Strategy and International Business und speziell bei der Bearbeitung von Fallstudien wie zum Beispiel dem TIMES (Tournament in Management and Engineering Skills) zählt die Technische Universität in Helsinki europaweit zu den führenden Hochschulen. Das war einer der Gründe, weshalb ich unbedingt dorthin wollte. Der Kurs Advanced Case Seminar in Strategy bereitet die Studenten optimal auf TIMES vor. Ich persönlich habe dort am meisten gelernt und bin froh, den Kurs absolviert zu haben. In Teams von fünf Personen lösten wir Fallstudien und präsentierten die Ergebnisse angesehenen Firmen wie BCG, McKinsey, Bains&Company, CapGemini und Nokia.
Besonders verblüfft hat mich die starke Verflechtung zwischen Universität und Wirtschaft, denn es gab kaum Kurse, in denen nicht mit Firmen zusammengearbeitet wurde. Zudem waren die Unternehmensvertreter ausgesprochen offen, so dass man leicht einen Ansprechpartner und Unterstützung fand. Die Klausuren dagegen hatten – verglichen mit Deutschland – einen geringeren Stellenwert. Meist waren zu den Vorlesungen Hausarbeiten einzureichen, die dann in die Klausurergebnisse eingeflossen sind. Das Studienjahr war in Quartale aufgeteilt. Auf diese Weise hatte man nicht allzu viele Prüfungen auf einmal und die Arbeitsbelastung verteilte sich relativ kontinuierlich.
Ebenfalls auffallend – im Vergleich mit Deutschland – waren die hohen Investitionen im Bildungsbereich. Sowohl in Helsinki als auch in den Universitäten von Lappeenranta, Tampere und Vaasa waren die Bedingungen exzellent hinsichtlich Einrichtungen, Medien und Personal. Viele Dozenten kamen aus dem Ausland und waren in den jeweiligen Fachrichtungen nicht unbekannt. Diese Weltoffenheit war auch bei den finnischen Kommilitonen spürbar – viele waren schon einmal zum Studium oder zum Arbeiten im Ausland.
Studentenleben
Das Studentenleben in Finnland ist allerdings ganz anders als das in Deutschland. Bei Festen oder Veranstaltungen zum Beispiel tragen die Studierenden (Teekkari) auf dem Campus Overalls. Für jeden Studiengang gibt es eine Organisation mit eigenen Farben, in denen die Studenten betreut werden und sich engagieren können. Für mich war die Organisation Prodeko zuständig. Jede der sogenannten Guilds hatte eigene Räume. Wir waren im Department of Industrial Engineering and Management untergebracht und hatten dort neben dem Guild Room (ausgestattet mit Billard Tisch, Couch und PlayStation) auch einen Fitnessraum zur Verfügung. Auch die Anzahl der organisierten Aktivitäten im Laufe des Studienjahres ist immens.
Für den Tutapäivät’09 zum Beispiel, den finnischen Wirtschaftsingenieurtag der Studierenden, war ich als Co-Organisator tätig. Spätestens als alle der gut 60 Teilnehmer der viertägigen Veranstaltung durchwegs Englisch sprachen, mein Finnisch war noch nicht so gut, hatte ich das Land und seine Leute in mein Herz geschlossen.
Die Lebensweise
Da, vor allem im Winter, unter der Woche sehr viel gearbeitet wird, brauchen viele Finnen einen Ausgleich. Zu den typischsten Aktivitäten gehört neben den geselligen Abenden die Fahrt zum Mökki. Das ist ein kleines Häuschen, meistens versteckt im Wald und nahe einem der unzähligen Seen. Als guter Austauschstudent machte ich natürlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit und hatte mit der finnischen Polizei, plötzlich auftauchenden Trucks, Heckantrieb und gebrochenen Federn so manches spaßige Erlebnis auf den schneebedeckten Feldwegen, die man sonst nur aus Rallyeberichten kennt. Auf dem Cottage, der englischsprachige Begriff für Mökki, angekommen, galt es zunächst die Sauna zu beheizen und ein ansehnliches Badeloch in den See zu bohren. Bei Eisstärken von mitunter einem halben Meter war das ziemlich anstrengend. Dennoch muss ich feststellen, dass ich – zurück in Deutschland – das back-to-the-roots mit Pilzsuche, Fischen und Grillen doch sehr vermisse.
Das Programm, meine Kurse
Während des International Business Linkage Program (www.businesslinkage.net) erlebte ich mit meinen 19 Kommilitonen aus insgesamt 12 verschieden Ländern (Finnland, Russland, Hongkong und China, Japan, Brasilien, Türkei, Ungarn, Österreich, Griechenland, Deutschland, Italien und Frankreich) viele interessante Dinge. Durch diese Social-Fun-Events lernte man sich gegenseitig gut kennen. Meine Kommilitonen und ich trafen uns auch sonst häufig und kochten fast jeden Abend zusammen. Während der Nationality Night organisierte jeweils eine Landesgruppe den Abend und stellte seine Heimat in gemütlichem Rahmen vor. Die gemeinsame Deutsch-Österreichische-Nationality Night zum Beispiel führten wir in einem Restaurant in Helsinki unter der Mithilfe von vier Sponsoren durch, die wir für diesen Zweck selbst akquiriert hatten. Zu den Veranstaltungen gab es leckere Spezialitäten, außerdem lernten wir viel seltenes Fachwissen über die dortigen Kulturen und Lebensweisen, die nur Einheimische vermitteln können.
Der akademische Part des Programmes beinhaltete verschiedene Kurse, die ich meist frei wählen konnte. Zu erfüllen hatten wir ein Soll von 40 Credits für das komplette Jahr, was keine Langeweile aufkommen ließ. Für den Hauptkurs des Programmes – Developing Global Leadership Talent wurden eigens für uns sogar Professoren eingeflogen. Dabei ist vor allem der Kontrast von vier Amerikanern und einem Inder hervorzuheben, die uns jeder auf seine Weise stark motiviert und von deren Arbeit wir sehr profitiert haben. Ebenso förderte das Coaching durch IBLP Alumni unsere Persönlichkeitsbildung. Ein Eckpfeiler des International Business Linkage Program. Abschließend kann ich sagen, dass sämtliche besuchten Kurse durchgängig interessant, vom Niveau her machbar, dabei aber keineswegs unterfordernd waren. Glücklicherweise wurde der Unterricht auf Englisch gehalten, da mein Finnisch trotz fleißiger Anstrengungen dafür nicht ausgereicht hätte.
Fazit
Die wohl beste Zeit meines Lebens!
Das Linkage-Jahr endete mit einem langen Wochenende auf einem Cottage. Der Abschied von den vielen neuen, guten Freunden fiel schwer. Aber die Verbindung, wie der Name des Programms so schön sagt, ist bis heute nicht abgerissen. Erst zu Beginn dieses Jahres sind wir gemeinsam zum Skifahren in die französischen Alpen gereist. Wieder zurück in Deutschland, erwacht aus dem Traum und mit dem nötigen zeitlichen Abstand, kann ich sagen, dass das Auslandsjahr wohl die beste Zeit meines Lebens war!