Auslandssemester und -praktikum in St. Petersburg
Zur Person
Name: Sergej W.
Alter: 24 Jahre
Uni: Technische Universität Braunschweig
Semester: 7. und 8. Fachsemester (zur Zeit des Auslandsaufenthaltes)
Studiengang: Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau
Mein Auslandsjahr in St. Petersburg habe ich mehr einem Zufall als einem langjährigen Plan zu verdanken. Beim Wakeboarden traf ich einen Kommilitonen, mit dem ich ins Gespräch kam. Nach einer Weile eröffnete er mir, dass er ein halbes Jahr in St. Petersburg studiert hatte. Nachdem er mir von der Stadt, der Universität, den weißen Nächten und dem Nachtleben erzählt hatte, stand für mich fest: Ich will auch nach St. Petersburg! Bereits vor diesem Treffen hatte ich mit dem Gedanken gespielt, ein Auslandssemester an einer russischen Universität zu absolvieren und besuchte deshalb auch einen Sprachkurs, um meine Russischkenntnisse aufzufrischen. Jedoch gab es noch keinen konkreten Plan. Das Treffen am See war der Auslöser und so begann ich mit den Vorbereitungen.
Vorbereitung
Der Professor, der den Aufenthalt des Kommilitonen arrangiert hatte, hatte sich aus diesem Bereich zurückgezogen, ich musste mich also selbst um das Auslandssemester kümmern. Meine erste Anlaufstelle war das International Office der TU Braunschweig. Dort hoffte ich auf eine bestehende Kooperation der TU mit einer der Petersburger Universitäten vorzufinden. Die gab es leider nicht, allerdings bestand Kontakt zur Polytechnischen Universität von St. Petersburg. Nachdem mir die zuständigen Personen für Austauschstudenten an der SPBSTU genannt worden waren, konnte ich Kontakt aufnehmen. Ich telefonierte mit der Universität und machte ein Treffen aus, um Einzelheiten zu klären. Wir besprachen die Zahlungsmodalitäten, die Art meiner Einschreibung und ich unterzeichnete einen befristeten Vertrag, an Hand dessen mir die Universität eine Einladung ausstellen konnte und über den ich auch das Visum für die Einreise in die Russische Föderation erhielt.
Ich hatte mich gegen das Leben in einem Studentenwohnheim entschieden, musste dort aber einige Tage zwischenübernachten. Danach wohnte ich in einem WG-Zimmer, das auf der südlichen Hälfte der Stadt lag. Das war deshalb von Vorteil, weil ich dadurch nicht von den Schließungen der Neva Brücken abhängig war und auch während des Schiffsverkehrs nachts jederzeit nach Hause kommen konnte. Das Anmieten einer Wohnung hat mehrere Vorteile gegenüber dem Leben im Wohnheim. Zum einen ist die Stadtnähe und zum anderen die selbständige Lebensweise, die in russischen Studentenwohnheimen allein auf Grund der Besucherregelung nicht gegeben ist. Gäste müssen die Wohnheime um 22:00 Uhr verlassen und dürfen sie nur mit Studentenausweis oder offizieller Genehmigung betreten! Zudem sollte die Lage der Wohnung möglichst zentral gewählt werden, da die meisten kulturellen Sehenswürdigkeiten im Stadtzentrum liegen und sich dort auch der Großteil des Lebens abspielt.
Universität
Meine erste Vorlesung war ein kleiner Kulturschock, da ich an der TU in Braunschweig nur große Vorlesungsräume gewohnt war und das Alter der Kommilitonen in Braunschweig meinem eigenen entsprach. In St. Petersburg war alles anders. Der Lektor z.B. hatte einen Tisch wie in der Schule. Die Studenten, aufgrund des russischen Schulsystems im selben Semester, aber im Schnitt 3 Jahre jünger als ich, saßen an langen Tischreihen. Dieser Anblick ließ mich ein wenig schmunzeln, obwohl das Ungewöhnlichste an diesem Tag noch bevorstand. Als der Lektor das Zimmer betrat standen die Studenten auf und begrüßten ihn. Diese Form von Respekt wird allerdings nur dem Hochschulleiter entgegengebracht. Danach folgte eine Zählung der anwesenden Studenten, welche im Klassenbuch eingetragen wurden. Auch dies entsprach nicht meinen Vorstellungen von Universität, da ich es gewohnt war für meine An- und Abwesenheit selbst die Verantwortung zu übernehmen. Darüber hinaus gibt es keine freien Kurse, sondern, je nach Fachrichtung, ein fest vorgeschriebenes Programm. Alle Studierenden beginnen und beenden Ihr Studium zum selben Zeitpunkt. Nur in Ausnahmefällen darf jemand überspringen oder wiederholen. So wird ein Verbund geformt, der innerhalb der kommenden 5 Jahre (je nach Studium) gemeinsam unterrichtet wird. Wie man unschwer erkennen kann, ist das System also sehr verschult und bietet Freigeistern nur sehr wenig Spielraum. Daher verwundert es auch nicht, dass in den ersten zwei Jahren, unabhängig davon, ob man Logistik, Maschinenbau oder Marketing studiert, allgemeinbildende Vorlesungen besucht werden müssen. Darunter fallen russische Literatur, Sport aber auch Geschichte und Ethik.
Anerkennung der Studienleistungen
Aus den oben aufgeführten Gründen ist es wichtig mit den Verantwortlichen an den Universitäten individuelle Lehrpläne auszuhandeln, um Vorlesungen unterschiedlicher Gruppen und Semester besuchen zu können. Das ist notwendig, damit die Leistungen an den deutschen Hochschulen anerkannt werden können. Eine Abstimmung mit den deutschen Professoren sollte unbedingt vor Antritt der Reise erfolgen. So kommt es im Anschluss nicht zu unerfreulichen Überraschungen.
Ich für meinen Teil hatte mir die Vorlesungsbeschreibungen aus St. Petersburg besorgt und diese ins Deutsche übersetzt. Das geht natürlich nur mit entsprechenden Fremdsprachenkenntnissen oder fachkundiger Unterstützung. Der Vorteil war, dass ich den deutschen Professoren auf diese Weise ganz genau sagen konnte, was in St. Petersburg gelehrt wird. Auf das Internet als Quelle für Informationen sollte man sich nicht allzu sehr verlassen. Die Lehrpläne sind nicht öffentlich zugänglich und werden lediglich auf Anweisung eines Dekans (oder seines Vertreters) herausgegeben. Insgesamt habe ich in St. Petersburg drei Prüfungen im Marketing, eine Prüfung in Logistik und drei Prüfungen aus den Bereichen Wirtschaft und Finanzen abgelegt. Verteilt waren die Prüfungen auf zwei Semester.
Nach dem Wintersemester wollte ich unbedingt länger bleiben, immerhin standen die weißen Nächte ja noch bevor. Im Studium lag ich gut in der Zeit und da sich die Prüfungszeiträume nicht überschnitten, konnte ich trotz des Semesters in St. Petersburg auch in Braunschweig an den Prüfungen teilnehmen. Deshalb beschloss ich im Sommersemester weniger Veranstaltungen zu belegen und mir mehr Freizeit einzuräumen. Aber daraus wurde dann doch nichts!
Praktikum
Durch einen Kommilitonen hatte ein Jobangebot von einem russischen Unternehmer bekommen, das mir die einmalige Chance gab, neben dem Studium in einem russischen Betrieb zu arbeiten. Diese Chance wollte ich natürlich unbedingt nutzen. Tätig war ich für ein junges Immobilienunternehmen in den Bereichen Marketing, Finanzen und Planung. Zudem existierte eine Geschäftspartnerschaft in Österreich. Meiner Aufgabe bestand in der Kommunikation mit dem österreichischen Partnerunternehmen, da ich als einziger in der Belegschaft deutsch sprach. Ich arrangierte Treffen in Wien, an denen ich selbst teilnahm, erarbeitete eine Marketingstrategie und war für die Umsetzung des erarbeiteten Konzeptes verantwortlich. Alles in allem war das Praktikum ein echter Glücksgriff. Persönliche Kontakte sind in Russland sehr wichtig und sollten gesucht und gepflegt werden. Wichtig ist es außerdem, sich vorab über die organisatorischen und rechtlichen Bedingungen für die Nebentätigkeit zu informieren (Deutsches Akademisches Auslandsamt, International Office oder direkt bei der Botschaft) und das Thema auch mit dem Arbeitgeber und ggf. der Universität zu klären.
Leben in St. Petersburg
Nachdem ich über die Universität und das spontane Praktikum berichtet habe, will ich auf das Beste eingehen: die Stadt, ihre Sehenswürdigkeiten, das Nachtleben und ...
St. Petersburg wird nicht umsonst als die Kulturhauptstadt Russlands bezeichnet. Mit seinen zahlreichen Museen (Eremitage, das russische Museum) und Opern (z.B. Mariinsikij Theater) hat sie für jeden etwas zu bieten und selbst Kulturmuffel entwickeln sich plötzlich zu Ballettliebhabern.
Ausgenommen der Sommerpause, in der die großen Darsteller der Theater auf Welttourneen gehen, kann man das ganze Jahr über hochkarätige Aufführungen besuchen. Dabei werden sowohl Klassiker wie Schwanensee oder Der Nussknacker als auch neue Kreationen wie z.B. Japanisches Ballett angeboten. Als Geheimtipp für Komödienfans kann ich die kleine Bühne des Theaters Lensovetov empfehlen. Ein weiterer Pluspunkt sind die relativ niedrigen Eintrittspreise. Sie erlauben es, für umgerechnet ca. 10, einen passablen Platz im Parterre zu ergattern. Aus diesem Grund trifft man im Theater von einem Oligarchen wie Berizytski bis zu einer einfachen Bus-Fahrkartenverkäuferin auf die unterschiedlichste gesellschaftlichen Schichten. Die Innenräume der bekanntesten Theater sind in den letzten Jahren alle restauriert worden, so dass die ursprüngliche architektonische Schönheit wieder zur Geltung gebracht wird.
Die bekanntesten Sehenswürdigkeiten sind sicherlich die Auferstehungskirche mit Ihren Zwiebeltürmen, deren zwiespältige Geschichte während einer Führung unbedingt zu erkunden ist. Petropavlosk, der eigentliche Stadtkern und die erste Festungseinrichtung Petersburgs, die Eremitage als eines der berühmtesten Kunstmuseen der Welt (ursprünglich Sommerresidenz von Katharina der Großen), die Isaakkathedrale sowie der Peterhof, der am Finnischen Meerbusen liegt und dem Schloss Versailles nachempfunden ist. Die Sehenswürdigkeit, auf der die meiste Zeit verbracht wird, ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit der Nevsky Prospekt - die Fußgängerzone, über die bereits der Schriftsteller Gogol geschrieben hat. Der Nevsky Prospekt ist heute wie damals eine Flaniermeile, Nevski Prospekt, an der sich vor allem im Sommer neben den zahlreichen Touristen insbesondere die Schönen und Reichen Russlands präsentieren. Diese Zurschaustellung von Reichtum entspricht auch der allgemeinen russischen Mentalität. Sie ist von Materialismus geprägt und es ist üblich zu zeigen, was man im Leben erreicht hat.
Zum Ende meines Berichtes noch einige Informationen wie man günstig nach St. Petersburg kommen kann: Es gibt mittlerweile verschiedene deutsche Anbieter (z.B. germanwings) die günstige Direktflüge anbieten. Am günstigste Variante ist allerdings die Anreise über Riga. Von dort aus kann man täglich um ca. 21 Uhr den Nachtzug nach St. Petersburg nehmen und ist schon in St. Petersburg und hat nebenbei die russische Eisenbahn kennengelernt und diese hat die ein oder andere Überraschung auf Lager ...